Astronomie der Maya

Abb. 1: Chichén Itzá, Yucatán: Blick auf das als astronomisches Observatorium gedeutete Caracol

„Die Ägypter Mittelamerikas" oder „Die Griechen der neuen Welt". Bei näherem Untersuchen dieser faszinierenden Kultur Mittelamerikas kommt man einfach um einen solchen Vergleich nicht herum, sei es, weil auch die Maya monumentale Pyramiden bauten, oder weil sie sich sehr intensiv der Erforschung der Natur widmeten.

Geographische Besonderheiten

Das Hauptsiedlungsgebiet dieser Menschen lag im tropischen Regenwald zwischen dem Golf von Mexico und dem Golf von Honduras. Auf der Halbinsel Yucatan finden wir heute die ältesten und bedeutendsten Zeremonialzentren der Maya. Tikal, Uaxactun, El Mirador, Copan, Palenque und andere. Aber auch Teile von Guatemala, Honduras, Belize und San Salvador wurden von den Maya besiedelt (siehe Abb. 2, Karte archäologischer Stätten im Maya-Gebiet).

Yucatan liegt voll im tropisch heißen Tiefland auf der gleichen geographischen Breite wie die Sahara. Trotzdem ist Yucatan keine Wüste, da der Golf von Mexiko und das Karibische Meer ständig feucht-heiße Luft in diese Gegend transportieren. An der Nordwestküste findet man trockene Wälder, während im Landesinneren der typisch feuchte Regenwald alle alten Kultstätten unbarmherzig überwuchert und so unsichtbar für die Forscher macht.

Mesoamerika war über viele Jahrhunderte Schauplatz der Entwicklung verschiedener Hochkulturen. Ihr Aufstieg und Untergang spielte sich in unterschiedlichen Ökosystemen ab, die sich prägend auf diese Kulturen auswirkten. Doch bei aller Verschiedenartigkeit des Lebensraumes standen sie in engem Kontakt miteinander, vergleichbar mit den verschiedenen Kulturen des frühen Europas. Eine besondere Rolle innerhalb dieses Gebietes fällt den Maya zu, einer der wohl bemerkenswertesten Kulturen der Welt. Ihre geographische Verbreitung umfaßte ein Gebiet von rund 324 000 km2.

Geschichtliche Entwicklung

Die Besiedlung Mittelamerikas wird auf ca. 10000 v. Chr. angesetzt. Aus ca. 9000 und 7000 v. Chr. sind Steingeräte oder Pfeilspitzen bekannt. Ca. 2000 v. Chr. beginnt die sog. präklassische Zeit. Diese dauerte fast zweitausend Jahre bis etwa 300 n. Chr. und wird weiter unterteilt in die „frühe Präklassik", „mittlere" und „späte Präklassik". Jede dieser Phasen ist durch Besonderheiten abgrenzbar. Ton und Keramikgegenstände aus der Zeit zwischen 2000 und 900 v. Chr. wurden gefunden, außerdem die ersten dauernd bewohnten Siedlungen. Alle Fundstätten befinden sich an der Küste oder in der Nähe von Mangrovensümpfen.

Die mittlere Präklassik (900 - 400 v. Chr.) hat für die Maya aber besondere Bedeutung. Das gesamte Mayagebiet war durchgehend besiedelt. Während in der frühen Präklassik die Siedlungen an den Ufern von Flüssen und Seen entstanden, bildeten sich in der mittleren Präklassik auch weit entfernt von den Wasservorkommen Siedlungen, die sich später zu wichtigen Städten entwickeln sollten (z.B. Tikal, Uaxactun u.a.).

Die späte Präklassik (ca. 400 - 250 n. Chr.) ist für die gesellschaftliche Entwicklung der Maya die wichtigste Epoche. In dieser Zeit werden viele neue Städte begründet. Unter dem Einfluß adeliger Familien entwickelt sich Wirtschaft, Architektur, Hieroglyphenschrift und die Kunst. Die Oberschicht koordiniert auch den Bau von öffentlichen Gebäuden, die Vergrößerung von zeremoniellen Plätzen, die Erwirtschaftung von Ernteüberschüssen und deren Umverteilung. Architekten entwickelten die anspruchsvollsten und monumentalsten Bauten. Pyramiden von etwa 30 Meter Höhe, wie zum Beispiel in Tikal, Lamanai und Nakbe. In El Mirador erreichten sie sogar eine Höhe von etwa 70 Metern. Anders als in Ägypten dienten diese Pyramiden nur religiösen und astronomischen Zwecken. So bestanden sie aus astronomischen Baukomplexen für Sonnenbeobachtung, Sonnenfinsternisvorhersagen und Bestimmung von Sonnwenden. Die Bestimmung von Aussaat- und Erntezeiten, die Einhaltung landwirtschaftlicher Zyklen, oder ritueller Weihungszeremonien zum Ende des Sonnenjahres waren für die Bevölkerung von großer Bedeutung. Ein anderes wichtiges „Ereignis" fällt ebenso in diese Zeitspanne, die „Erfindung" der Hieroglyphenschrift. Die genaue Herkunft der Schrift ist nicht bekannt. Vermutlich liegt ihre Entstehung etwa bei 400 v. Chr.

In der klassischen Periode (300 - 500 n. Chr.) bildeten sich einzelne Staaten, die wirtschaftlich selbständig sind, infolge dessen entstand aber auch Neid und somit viele Kriege. Überliefert sind uns aus dieser Zeit viele stumme Zeugen in Form von Steinsäulen und Gebäuden.

Während im 7. und 8. Jahrhundert das Land noch von Menschen wimmelte, riesige Maisfelder angebaut wurden, gewaltige Tempel und Paläste die Zentren großer Städte ausfüllten, war bereits zwei Jahrhunderte später von dieser Kultur fast nichts mehr zu sehen. Der Tropenwald überwucherte alle Bauten und Maisfelder. Die Könige waren verschwunden, ebenso ihr Volk. Warum? Diese Frage ist bis heute nicht mit Sicherheit geklärt. Spekulationen gibt es genug. Angefangen von rituellem Massenselbstmord, über Meteoriteneinschlag, Epidemien, Klimawechsel, ja sogar bis zum Besuch von Außerirdischen. Wahrscheinlicher ist wohl, daß die Bevölkerung aufgrund der guten sozialen Situation sich zu schnell vermehrte, die Landwirtschaft aber nicht genug Lebensmittel aufbringen konnte. Vielleicht gab es aufgrund von Unwetterkatastrophen keine oder zumindest nur eine schlechte Ernte. Daraufhin verließen viele die großen Städte und verteilten sich in einem weiteren Umkreis.

Fest steht, daß dieser kulturelle Zusammenbruch sehr schnell vor sich ging. Während aus dem Jahr 790 n. Chr. noch viele Steinsäulen erhalten sind, gibt es bereits ab dem Jahr 890 n. Chr. keine Zeugnisse mehr.

Als 1502 der erste Spanier in Yukatan landet, ist die Blütezeit längst vorbei. Viele Kultstätten sind vom Urwald überwuchert und viele Schriften sind verloren. Den Rest zerstören religiöse Eiferer der Spanier.Die wenigen Überlieferungen sind Bauwerke, Steinsäulen (sog. Stelen) und handschriftliche Aufzeichnungen, sog. Kodizes. Diese sind gemalte Bücher aus Rehleder oder Tafeln von bearbeiteter Baumrinde (siehe Abb. 3, eine Seite aus dem Dresdner Kodex aus dem 13. Jh.). Diese Kodizes kann man getrost als Enzyklopädien, Kompendien von Wissenschaft und Technik, und astronomischen u. mathematischen Wissen bezeichnen. Ebenso enthielten sie praktische Unterweisungen in Landwirtschaft, Künsten und Handwerk.

Ursprünglich gab es hunderte solcher Schriften. Die meisten jedoch wurden im Juli 1562 auf Befehl von Diego de Landa, Bischof von Yukatan (siehe Abb. 4), verbrannt. Daraufhin ist die Schrift der Maya fast vollkommen vergessen worden. In seinen letzten Lebensjahren widmete sich Diego de Landa dann der Rekonstruktion und Übersetzung dieser Bücher. Tatsächlich überlebten nur 3 Handschriften die Vernichtungsaktion. Sie werden nach ihrem Aufbewahrungsort Madrider Kodex, Pariser Kodex und Dresdner Kodex genannt. Seit 1739 befindet sich also eine Ausgabe dieser Kodizes in Dresden. Der bedeutendste Übersetzer war Ernst Förstemann (Bibliothekar in Dresden). Er entschlüsselte den Kalender der Maya, entdeckte das Vigesimalsystem und die Zahl 0 in den Berechnungen der Maya.

Dies war jetzt eine ausführliche Schilderung der Geschichte der Maya. Aber ich glaube, dies ist notwendig, um eine für uns unbekannte Kultur zu verstehen.

Die Erfassung der Zeit

Die Zeitrechnung war ein wesentliches Element der Wissenschaft der Maya. Mit Hilfe von Observatorien berechneten Priester den Umlauf der Gestirne, um den günstigsten Zeitpunkt für die Aussaat zu finden. Viele Gebäude sind astronomisch ausgerichtet. Das von den Maya berechnete Sonnenjahr stimmt bis auf drei Stellen nach dem Komma mit unseren heutigen Erkenntnissen überein.

Da die Maya sehr geschichtsbewußt waren, finden sich Kalenderangaben auf allen wichtigen Gebäuden. Einige Gebäude sind sogar als Kalender gebaut worden. Beschäftigt man sich mit der Kalenderrechnung, so erscheint sie am Anfang wirr, entpuppt sich aber bei näherem Hinsehen als ein äußerst logisch durchdachtes System. Doch bevor wir näher auf den Kalender eingehen, betrachten wir die Mathematik der Maya.

Im Gegensatz zu den Römern oder den Griechen kannten die Maya die Zahl 0. Sie verwendeten ferner ein sog. Vigesimalsystem, d.h. die Berechnungsbasis ist 20. Die Reihenfolge der Stellen ist demnach nicht 1-10-100-1000-10000 sondern 1-20-400-8000 usw.

Die Zahlen, die sich auf vielen Stelen oder Gebäuden finden werden durch Striche und Punkte dargestellt. Die Zahl 2125 würde bei den Maya folgendermaßen geschrieben:

2125 : 400 = 5 Rest 125
125 : 20 = 6 Rest 5
5 : 1 = 5 (Rest 0)

Die Darstellung wäre also:

5 =
6 =
5 =

Bei der Kalenderrechnung versagt aber dieses System. Um eine Angleichung an das Sonnenjahr zu erreichen, muß statt der Zahl 400 die Zahl 360 (20 x 18) verwendet werden. Bei den Kalenderangaben lautet also die Reihenfolge der Stellen 1 - 20 - 360 - 7200 usw.

Wollten wir das Datum 1995 in der Schrift der Maya darstellen, so müßten wir folgendermaßen vorgehen:

1995 : 360 = 5 Rest 195 =
195 : 20 = 9 Rest 15 =
15 : 1 = 15 (Rest 0) =

Nun aber zum eigentlichen Kalender. Generationen von Wissenschaftlern arbeiteten an der Aufklärung dieses in seiner Komplexität auf der Welt beispiellosen Kalenders.

Vereinfacht dargestellt besteht der eigentliche Kalender aus zwei ineinander verzahnten Zyklen (siehe Abb. 5). Auch bei den anderen mexikanischen Völkern war diese sogenannte Kalenderrunde in Gebrauch. Hierbei handelt es sich um einen 260-Tage und um einen 365-Tage-Zyklus, die wie zwei Zahnräder ineinandergriffen. Der 260-Tage-Zyklus (Tzolkin) war in erster Linie ein Ritualkalender. Die Funktionsweise ist verhältnismäßig einfach: 20 Tageszeichen wurden mit den Zahlen 1 - 13 gekoppelt. Nach Ablauf von 13 Tagen endete die erste Woche, der Zyklus beinhaltete demnach 20 Wochen (260 : 13 = 20). Die Bedeutung der 20 Tageszeichen ist uns von Diego de Landa überliefert. Jeder Tag wurde von einer anderen Gottheit beherrscht, die sowohl glück- als auch unglücksbringend sein konnte. Diese Tagesgötter beeinflußten nicht nur das Geschehen des jeweiligen Tages, sondern auch das Schicksal eines jeden an diesem Tag geborenen Kindes. Der 365-Tage-Zyklus (Haab) setzt sich aus 18 Monaten zu je 20 Tagen zusammen. Dividiert man 365 durch 20, stellt man fest, daß ein Rest von 5 Tagen übrigbleibt. Diese 5 Tage wurden in einem Kurzmonat zusammengefaßt und als unglücksbringend angesehen. An diesen Tagen ruhte das öffentliche Leben, alle an diesem Tag begonnenen oder durchgeführten Unternehmungen waren vom Unglück verfolgt und von vornherein zum Scheitern verurteilt.

Da jeder Zyklus für sich alleine genommen ungeeignet ist, Daten so anzugeben, daß eine Verwechslung der Tage im Laufe mehrerer Jahre ausgeschlossen ist, wurden beide Zyklen zur Kalenderrunde kombiniert. Jeder Tag des 260-Tage-Zyklus wurde so zu einem Tag des 365-Tage-Zyklus gekoppelt. Eine Datumsangabe setzte sich demnach aus den folgenden vier Elementen zusammen:

  • einer Ziffer 1 - 13 (Woche des 260-Tage-Zyklus)
  • einer der 20 Tageszeichen des 260-Tage-Zyklus
  • einer Ziffer 1 - 20 (Tage eines Monats des 365-Tage-Zyklus) und
  • einer Monatsglyphe.

Die Kombination dieser vier Elemente bewirkt eine eindeutige Bezeichnung eines jeden Tages innerhalb von 52 Jahren (genauer 18980 Tagen). Nach Ablauf eines solchen „Mayajahrhunderts" bestand die Gefahr des Weltuntergangs.

Am letzten Tag des alten Zyklus’ wurden deshalb alle Feuer im Land gelöscht, und die Priester zogen zum Sternenhügel außerhalb der Stadt Tenochtitlan. Überquerten die Plejaden nach Mitternacht ihren Zenit, galt der Neubeginn des nächsten Zyklus' als gesichert. Auf der Brust eines geopferten Menschen entzündeten die Priester sodann ein neues Feuer, welches an das Volk und an die Tempel weitergereicht wurde.

Die Abfolge dieser 52-Jahr-Zyklen erlaubt jedoch immer noch keine langfristige Datierung. Erst die Erfindung der sogenannten „Langen Zählung" (longcount) ermöglichte eine kontinuierliche Zeitrechnung. Das Prinzip beruht auf der Einführung eines Nullpunktes, von dem an alle Tage fortlaufend gezählt wurden. Das Datum, an dem die Zeitrechnung der Maya begann, ist der 10. August 3114 v. Chr. Diesem fixierten Nullpunkt liegt sicherlich kein historisches Ereignis zugrunde, vielmehr dürfte es sich um ein errechnetes Datum, vielleicht sogar um ein mythologisches Ereignis handeln.

Gezählt wurde wiederum mit Hilfe des Vigesimalsystems. Die kleinste Zeiteinheit war hierbei ein Tag. Die jeweils nächsthöheren Zeiteinheiten wurden wie folgt zusammengefaßt:

20 kin = 1 uinal (= 20 Tage)
18 uinal = 1 tun (= 360 Tage)
20 tun = 1 katun (= 7 200 Tage)
20 katun = 1 baktun (= 144 000 Tage)
20 baktun = 1 pictun (= 2 880 000 Tage) usw.

Die Kenntnis des fixierten Ausgangspunktes sowie der „Langen Zählung" der Maya-Zeitrechnung ermöglichte eine Korrelation unserer eigenen Zeitrechnung mit derjenigen der Maya. Heute können die wichtigsten Gebäude der Maya exakt datiert werden, was durch die Vielzahl der gefundenen in Stein geschlagenen Datumsangaben wesentlich erleichtert wurde. Die geschichtliche Entwicklung dieses Volkes wurde so zugänglich, eine Vielzahl offener Fragen konnte geklärt werden.

Doch nicht nur die historischen Dimensionen der alten Kultur der Maya erschlossen sich dem Forscher, sondern das tiefere Verständnis der mexikanischen Kalenderwissenschaft gestattete auch Einblicke in die gedankliche und mythologische Welt der Mexikaner. Ganze Völker ergaben sich in die Knechtschaft des allgegenwärtigen Kalenders. Jeder einzelne, vom Bauern bis zum Herrscher, hatte sich den Zyklen und den in ihnen herrschenden göttlichen Kräften zu unterwerfen. Die Schöpfung selbst war keine abgeschlossene, endgültige Geschichte, sondern gleichfalls eingebunden in ein großes System von Wachsen und Vergehen. Der Fortbestand der Zeitzyklen - und damit der Welt - erforderte Menschenopfer; kein Krieg konnte gewonnen werden, keine Ernte eingebracht und kein Wild erlegt ohne den Beistand der Götter.

Erst die Einsicht in die Gesetzmäßigkeiten des Kalendersystems eröffnete das Verständnis für viele Aspekte der vergangenen und der heute noch bestehenden Kultur.

Als Besonderheit des Maya-Kalenders sollte noch erwähnt werden, daß er, im Gegensatz zu fast allen anderen Kulturen der Welt, den monatlichen Mondzyklus nicht berücksichtigte. Trotzdem wurde der Mondlauf beobachtet und berechnet.

Natürlich gibt es zu dieser Kultur noch einiges zu schreiben. Deshalb, und vielleicht auch weil mich persönlich gerade die Maya besonders interessieren, möchte ich den Artikel in der nächsten Ausgabe fortsetzen.  Also bis dann!

Autor: Dieter Meyer

 

Literaturhinweise

Eggebrecht E.: Die Welt der Maya
Rätsch C.: Chactun - Die Götter der Maya
Baudez C.: Versunkene Städte der Maya
Huff S.: Der Kalender der Maya leicht gemacht

Bildnachweise

Abb. 1 u. 2: Eggebrecht E.: Die Welt der Maya
Abb. 3: Sächsische Landesbibliothek in Dresden
Abb. 4: Baudez C.: Versunkene Städte Maya
Abb. 5: Huff S.: Der Kalender der Maya leicht gemacht

Letzte Änderung am: Mon Jan 23 10:27:30 2006 - geändert durch: Not Availiable

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